Scheitern als Heldentat?

Scheitern als Heldentat?

Scheitern als Heldentat? Ich gebe es zu: Kämpfen liegt mir nicht! Immer, wenn es irgendwo einen Kampf gibt, regt sich mein innerer Widerstand. Nicht nur, weil ich überzeugt bin, dass es für jedes Problem mehrere mögliche Lösungen gibt und einige davon ganz ohne Kampf auskommen.

Sondern auch, weil Kämpfe IMMER Opfer fordern!

Aber warum werden unsere modernen Heldengeschichten so häufig mit der dramatischen Schilderung von Schwierigkeiten, Problemen oder gar Niederlagen aufgeblasen? Ich glaube, dafür gibt es zwei wesentliche Gründe: Zum einen wertet es natürlich die Leistung der Protagonisten auf, wenn ihr Erfolg nicht einfach zu erreichen war, sondern viel Einsatz und Kampf gekostet hat. Es macht den “Sieg” deutlich, wenn das Ziel dann doch noch erreicht wird. Zum anderen macht es uns bewusst, mit welchen Herausforderungen wir selbst rechnen sollten, falls wir aus irgendwelchen Gründen das gleiche Ziel erreichen wollen und wie es uns eventuell gelingen könnte. Solche Dramen “lehren” uns Erfahrung, ohne selbst erlebtes Risiko.

Allerdings hat diese Kampf-Berichterstattung auch einige Nachteile:

Neben der Gefahr, einem Fake aufzusitzen, erzeugt diese Art von Storytelling auch gefährliche Leitbilder. Wir glauben, nur durch Kampf errungene Ergebnisse seien wirklich wertvoll, nur großer Einsatz könne ernst zu nehmende Erfolge bringen. Nur mit Zeit, Geld, Nerven und Kraft (resp. Blut, Schweiß und Tränen) Erreichtes verdiene Anerkennung und – wenn all dies nicht zum Erfolg führe, sei doch wenigstens der Einsatz als heldenhaft zu bewerten. Niederlagen werden so leichter erträglich, Gescheiterte können zu Helden umgedichtet werden. Denn sie haben sich so sehr BEMÜHT! Lassen Sie uns für den Moment einmal annehmen, alle diese Märtyrer-Geschichten von der Aufopferung für ein gut gemeintes Ziel seien tatsächlich wahr. Lassen Sie uns glauben, dass der Einsatz den Kampf adelt. Schließlich sind die Geschichtsbücher auf der ganzen Welt voller Schilderungen von Schlachten, Kriegen, Eroberungen mit unendlichen Totenregistern. Die biografische Weltliteratur bietet meterweise Helden, die genau durch solchen überdurchschnittlichen Einsatz aus der Masse “normaler” Menschen herausragen. Welche Leitbilder erzeugen solche Geschichten für uns Einzelne und für die Menschheit? Welche Moral steckt hinter solchen Erzählungen? Es sind Leitbilder als Vorlage für die individuelle und die gemeinsame Persönlichkeitsentwicklung! Und so wird das Streben nach dem außergewöhnlichen Einsatz, nach der besonders herausragenden Kampfbereitschaft, zum moralischen Imperativ. Wenigstens Mühe muss sich schon geben, wer respektiert werden will! Um Ergebnisse zu kämpfen, sich selbst und das eigene Zögern zu überwinden macht Vorbilder und aus Vorbildern werden so „Helden“. Ganz abgesehen davon, dass diese dann auch berechtigt sind, mächtig stolz auf sich selbst zu sein, geradezu anzugeben: Seht her, ich habe es zwar nicht geschafft, denn es war nicht leicht! Aber ich habe alles dafür gegeben, mich ganz der Aufgabe (?) geopfert! Was für ein Heldentum!

Wem nützen solche Heldengeschichten?

 In der Regel handelt es sich um die ausgeschmückte und – wie gesagt – aufgeblasene Version von sogenannten Volksweisheiten wie zum Beispiel „ohne Fleiß kein Preis“ oder „ohne Kampf kein Sieg“. Seltsamerweise stimmen diese Weisheiten nicht mehr, wenn man sie in ihr Gegenteil verkehrt: Jeder Fleiß ein Preis, jeder Kampf ein Sieg? Wie oft haben Sie schon vergeblich gekämpft, wie häufig waren Sie sehr fleißig, ohne den Preis dafür zu erhalten? Ja, ich denke auch an zu niedrigen Arbeitslohn und ausbleibendes gesellschaftliches Ansehen, aber nicht nur das. Ich meine, dass Menschen, die immer wieder und ohne Gegenwert überdurchschnittlichen Einsatz zeigen, nicht die passenden Vorbilder sind. Das meine ich auch deshalb, weil dadurch die Verschwendung von menschlichen Ressourcen zum akzeptablen Faktor wird. Auch gescheiterte Helden haben sich bemüht und das verdient Respekt – aber wer hat davon profitiert, dass aus ihnen “Helden” gemacht wurden? Wem nützt es, wenn so viele so leicht zum KÄMPFEN bereit sind, ohne das zu erwartende Ergebnis genauer zu betrachten?
Wie viele gutgläubige und naive Menschen folgen aufopferungsvoll solchen Vorbildern? Sie investieren oft mehr als nur ihre eigenen Ressourcen an Zeit, Geld und Kraft, um Zielen nachzujagen, die nicht ihre eigenen sind. Ziele, die ohne genauere Beschreibung als notwendig oder besonders erstrebenswert dargestellt werden – von anderen. Ziele, deren Nutzen sowohl für die Gemeinschaft als auch für Einzelne durchaus nicht erwiesen oder gar zweifelhaft ist. Oft sind das sogar Ziele, für deren Erreichung weder die notwendigen Voraussetzungen noch die Motive erkennbar sind. Oder könnten Sie erklären, worin der Nutzen von Unternehmensprofit für Sie, für Ihre Familie oder für Ihren Wohnort besteht? Trotzdem tragen Sie in Ihrer Führungsaufgabe bewusst und absichtlich zu diesem Unternehmensprofit bei. Und mit Ihnen tun das noch viele andere. Sie glauben daran, dass sie selbst davon profitieren – vielleicht zu Recht. Aber ist das auch wirklich nützlich? Wem nützt es wirklich und warum tun das so viele, ohne genauer darüber nachzudenken? Weil wir so sozialisiert sind! Wir alle haben seit frühester Jugend Vorbilder gelernt! Wir kennen die Statuen, Denkmäler und Plakate für die Gefallenen Helden, die Helden der Arbeit, die Sieger im Wettbewerb. Wir haben das Leuchten in den Augen und die Bewunderung in der Stimme von Erwachsenen erlebt, wenn sie über ihre eigenen Vorbilder sprachen. Wir kennen die Begeisterung von Berichterstattern in Film und Fernsehen, wenn anderen etwas besonders gut gelingt. Wir haben zugesehen, wenn von vielen Teilnehmern eines Wettbewerbs nur wenige “gewinnen”, aber alle “kämpfen” und das Letzte aus sich herausholen. Vielleicht hatten wir sogar selbst Spaß dabei, an Wettbewerben teilzunehmen und uns mit anderen zu messen. Nicht immer in der Hoffnung auf den “Sieg”, aber mit dem Wunsch, von dieser Anerkennung für unsere Anstrengung auch etwas abzukriegen, ein bisschen heldisch sein zu können. Und deshalb glauben wir, das sei sinnvoll? Egal, ob im Sport, in der Schule, in der Arbeitswelt oder im Krieg – immer gehe es um – WAS? Erwarten wir nicht täglich von anderen, dass sie sich überwinden und Einsatz zeigen für das, was WIR glauben, wollen oder brauchen? Erziehen wir vielleicht sogar unsere eigenen Kinder dazu, sich vor allem anderen anzustrengen, sich Mühe zu geben, zu kämpfen – nur um nicht schlechter abzuschneiden als andere, um mehr zu erreichen, “besser” zu werden als WER? Auch dann, wenn dies weder ihrer eigenen Natur, ihren Talenten, noch ihren Wünschen entspricht? —– Ja, liebe Leser:Innen. Lassen Sie uns den Machtmissbrauch durch das Propagieren falscher Vorbilder beenden! Lassen Sie uns alle gemeinsam darüber nachdenken, was wir wirklich brauchen! Und lassen Sie uns jene Menschen wertschätzen, die uns ein lebenswertes Dasein im Einklang mit unserer eigenen Natur, der Freude am Leben und der Erhaltung unserer Umwelt ohne vergeblichen Kampf, ohne rücksichtsloses Profitstreben, ohne schädliche Ressourcenverschwendung vormachen. Möchten Sie mit mir darüber reden? Ich freue mich auf jede Meinung, auch auf Ihre!

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