Herzlich willkommen auf meinem Blog, liebe Leserin, lieber Leser!
Nein, ich will nicht auf den „Me too“ – Zug aufspringen. Denn bei Machtmissbrauch geht es um sehr viel mehr als um sexuelle Belästigung. Und es ist beileibe kein Hollywood- Thema. Ich bin auch der Meinung, dass Machtmissbrauch an sich kein Tabuthema ist. Es ist eher ein Zu-Spät -Thema, weil es immer erst dann zur Sprache kommt, wenn es nur noch um Aufklärung, Verfolgung und Strafe geht – eben dann, wenn „es“ längst passiert ist und echte Wiedergutmachung gar nicht mehr erfolgen kann. Mich beschäftigt seit längerem eine ganz andere Frage: Die Frage des VORHER.
Was führt dazu, dass Machtmissbrauch immer wieder möglich ist? Und: ist er verhinderbar?
Verdirbt Macht den Charakter? Oder muss man Charakterschwächen haben, um an die Macht zu kommen? Führungskräfte stehen in allen Branchen und allen Organisationsformen unter enormem Erwartungsdruck. Hartnäckig hält sich die Vorstellung, dass „Chef“ nur besondere Persönlichkeiten werden sollten – klüger, anständiger, weitsichtiger, verantwortungsbewusster, gerechter, ausdauernder, leistungsfähiger, einsatzbereiter usw. als sogenannte einfache Mitarbeiter. Fachbücher, Ratgeber und eine riesige Zahl von HR-Spezialisten, Trainern, Beratern und Kritikern scheinen ganz genau zu wissen, wie Führungskräfte sein sollen. Welche Skills sie benötigen, um Erfolg zu haben. Welches Verhalten sie zu guten Chefs macht. Womit sie ihre Mitarbeiter motivieren oder deren Motivation richtig stärken können und vor allem: Wie sie die Instrumente ihrer Führungs-Macht richtig einsetzen müssen. Denn eigentlich ist ja völlig klar, wie man richtig führt!
Natürlich dürfen auch Chefs hin und wieder Fehler machen. Und selbstverständlich müssen sie gelegentlich unpopuläre Entscheidungen treffen, die für manchen mit echten Nachteilen verbunden sind. Möglicherweise ist es im Einzelfall auch nicht einfach zu unterscheiden, was eine falsche oder eine notwendige, richtige aber dennoch schwer zu akzeptierende Entscheidung ist. Natürlich ist auch ein Compliance Management System (CMS) durchaus kein starres, unveränderliches Gebilde, aus dem man auf gar keinen Fall ausbrechen darf. Manche Regel muss einfach auch an neue Bedingungen angepasst werden. Und manchmal geschieht das im Verhalten schneller als auf dem Papier, so dass ein Regelverstoß nicht immer Schaden anrichtet. Im Gegenteil: von Führungskräften wird sogar erwartet, dass sie auch Grenzen überschreiten und ihren Entscheidungsspielraum nutzen. Mit agilen Führungssystemen wird dieser Spielraum sogar noch größer, obwohl gerade dabei immer mehr Beteilgte mitreden und mitentscheiden können.
Aber: Zur Führungskraft wird man gemacht!
Bis hierher nichts Neues? O.K. Dann eine Frage, die Dich vielleicht überrascht: Wieviel Macht kann man von anderen erhalten? Oder anders ausgedrückt: Kann man sich Macht einfach nehmen?
Eher Sie antworten, überlegen Sie bitte. Wo liegt Macht denn herum? Wieso kann Macht immer wieder „in falsche Hände” geraten?
Denn bei Machtmissbrauch geht es um Schlimmeres als um einfache Regelverstöße. Es geht genau um den Zusammenhang: sich selbst Nutzen oder Vorteile zu verschaffen UND damit anderen zu schaden.Und das betrifft immer mehr als zwei Beteiligte. Denn die Ausnutzung einer Machtposition führt nicht nur bei den Opfern zu direkten Nachteilen, sondern zieht weitere Kreise. Im Nachhinein haben es viele gewusst, hinter vorgehaltener Hand wurde schon lange darüber geredet, selbst bei entfernteren Bekannten und sogar in den Medien hatte die machtmissbrauchende Person einen „Ruf“ – aber niemand hat dem Treiben Einhalt geboten. Tatsache ist, dass hier ein Muster erkennbar ist. Denn es war schon lange keine Geheimnis mehr. Es funktionierte auch nur, weil es Mitwisser gab. Und Mitwisser werden zu Mittätern, wenn sie wider besseres Wissen nicht eingreifen.
Aber wie kann man denn eingreifen, ohne sich selbst zu gefährden? Ohne eigene Nachteile in Kauf nehmen zu müssen oder selbst zum Opfer derer zu werden, die ihre Machtposition missbräuchlich einsetzen? Das wäre doch gefährlich!
Deshalb setzt sich jetzt eine seltsame Spirale in Gang:
– Einerseits weiß man es nicht genau und geredet wird ja viel – also hat man vorläufig gar keinen Grund, etwas zu unternehmen. Häufen sich aber die Anzeichen, Hinweise oder gar Klagen, dann muss man erst einmal genauer hinschauen/hinhören/aufpassen. Und das vor allem möglichst unauffällig und diskret. Es könnte sich ja vielleicht auch um üble Nachrede handeln.
– Man würde schon gern helfen, weiß aber noch gar nicht, wie. Zunächst braucht man konkrete Beweise. Diese mögen aber bitte die „Opfer“ erbringen – denn die wissen es am besten. Und vielleicht können sie sich auch selbst am besten helfen, denn irgendwie haben sie zu ihrer misslichen Lage doch selbst beigetragen?
– Gleichzeitig wird man sich einer scheinbaren eigenen Machtlosigkeit bewusst. Welchen Weg könnte man gehen, um zu helfen – oder um Schlimmerem, nämlich der Ausdehnung des Machtmissbrauchs – entgegenzuwirken? Welche Instrumente stehen zur Verfügung und wen könnte man als Verbündeten gewinnen?
– Aber: die ersten vertraulichen Informationen hat man doch aus Quellen, die für gewöhnlich ungenannt bleiben wollen. Wie kann man also vorgehen, ohne deren Vertrauen zu enttäuschen?
– Gibt es denn nicht sogar jemanden oder etwas, zum Beispiel ein Gremium, der oder das zuständig wäre und eingreifen müsste? Sollten sich die „Opfer“ doch lieber dahin wenden!
Und wieder ist Zeit vergangen, wieder ist nichts geschehen, vermutlich ist der Machtmissbrauch eskaliert?
Ja, das ist er! Denn durch die Scheu, sich selbst Nachteile einzuhandeln oder sogar einer Gefahr auszusetzen, ist die Macht der Übeltäter in jedem Fall gewachsen: Nicht nur ihre unmittelbaren Opfer leiden jetzt, sondern ganze Organisationen können auf diese Art mitschuldig gemacht werden. Nicht nur aktuelle Wirtschafts-Skandale beweisen das, die ganze Geschichte ist voller Beispiele dafür. Deshalb sind im Laufe der Jahrhunderte ja auch immer neue Kontroll- und Überwachungs- Insitutionen und Instrumente geschaffen worden. Aber auch deren Macht kann missbraucht werden! Was wäre also zu tun?
Ich denke, Macht ist in jedem von uns. Für jeden einzelnen Menschen gibt es die Chance, seine eigene Macht zu nutzen und das zu tun, was man wirklich tun will oder nicht zu tun, was man nicht will. Es gibt nur keine Garantie, dass dies auch alle anderen akzeptieren und vielleicht sogar GUT finden! Denn andere haben garantiert ihre eigene Vorstellung davon, was GUT ist. Und wenn wir gegen diese Vorstellung verstoßen, dann wehren sich die anderen. Sie wehren sich entweder auf die moderate Art mit Kritik oder nachhaltiger mit Gegenmaßnahmen, von stillschweigender Missbilligung über konfliktreiche Auseinandersetzungen bis hin zum Einsatz von psychischer und physischer Gewalt. Und spätestens dann steht das Thema Machtmissbrauch im Raum. Wer ist der Stärkere, wer setzt unlautere Mittel ein, wer benutzt seine Überlegenheit zum Schaden für andere?
Geht es dabei nur um das Verhalten einzelner Persönlichkeiten? Oder gibt es Institutionen und Organisationen – die völlig unabhängig von persönlichen Entscheidungen einzelner Menschen reale Macht haben und Macht direkt ausüben? Sie ahnen es: Der Staat, die Polizei, die Gesellschaft, Parteien, Unternehmen, Banken … die Liste lässt sich beliebig erweitern, wenn wir für den Umgang mit Macht anonyme Autoritäten suchen. Doch warum tun wir das? Wir tun es, um nicht selbst darüber reden zu müssen. Deshalb ist Machtmissbrauch ein Tabu-Thema, bis es öffentlich gemacht wird. Deshalb leiden die Opfer oft jahrelang und fühlen sich ohn-MÄCHTIG. Und deshalb gibt es scheinbar nur den schlechten Charakter einzelner Personen als Ursache von Machtmissbrauch.
Aber wir wissen doch, dass all diese Institutionen und Organisationen nur durch das Verhalten realer Menschen und deren Zusammenwirken funktionieren. Es ist uns doch klar, dass Erfolge nur gemeinsam möglich sind. Der Zusammenhang ist klar: der andere hat immer genau so viel Macht, wie WIR ihm geben! Wenn wir andere verantwortlich machen für das, was WIR wollen, dann geben wir damit die Macht aus der Hand. Macht und Verantwortung gehören nicht nur im Erfolg zusammen. Sieht es denn mit Machtmissbrauch anders aus? Funktioniert der Machtmissbrauch tatsächlich im Alleingang? Kann ein einzelner Mensch schuldig sein am Schaden für andere, oder ist auch Machtmissbrauch eine gemeinsame Verhaltensweise?
Auf JEDER Machtposition sitzen MENSCHEN! Auch Apparate, Organisationen, Institutionen und Gesetze sind von Menschen gemacht. Und all das lässt sich ändern, am besten mit geteilter Macht! Statt einzelne Personen mit zu viel Verantwortung zu überfordern und zugleich mit zu viel Macht auszustatten, können wir unsere eigene Macht in kollektiver Verantwortung wahrnehmen. Und dafür ist es sehr sinnvoll, zunächst die Verantwortung für uns selbst vollständig zu übernehmen. Das heisst, nicht einfach den Umständen, der Gesellschaft oder anderen Menschen zu überlassen, wie wir leben, was wir tun und wie wir uns entwickeln. Dann werden sich nicht nur die direkten Opfer wehren müssen, sondern die Gemeinschaft kann dem Machtmissbrauch entgegenwirken.
Denn ich glaube, Machtmissbrauch funktioniert genau so lange, wie keiner darüber öffentlich spricht.
Mehr dazu können Sie hier immer wieder mal lesen.
Ich wünsche Dir einen guten Sommer und überhaupt
Alles Gute, Karin Rasmussen
* Machtmissbrauch (auch in der Form von Amtsmissbrauch, Autoritätsmissbrauch, Korruption) wird hier im moralischen, nicht im juristischen Sinne verstanden