Nein, dies wird keine Anklage gegen Männer und keine Aufforderung zum Kampf für mehr Geschlechtergleichheit. Ich lade Sie stattdessen ein, gemeinsam mit mir tiefer und genauer über die Kriterien nachzudenken, die Frauen für eine Führungsaufgabe erfüllen müssen. Noch genauer: welche Kriterien lassen eine Frau als geeignete Kandidatin für eine Führungsposition erscheinen?
Ja, das ist schon lange vor dem Anfang jeder Frauen-Karriere entschieden!
Sie glauben, erst mit dem Erreichen einer bestimmten Qualifikation und der damit verbundenen Kompetenz käme die Frage nach einer Führungsaufgabe auf? Nun, das ist einer der vielen Irrtümer, an denen besonders Personalentwickler gerne festhalten. Doch wenn dem so wäre, dann gäbe es nicht so viele unfähige bzw. ungeeignete Führungskräfte in allen Bereichen unserer Gesellschaft – Männer wie Frauen! Hochqualifiziert, aber ohne Führungsqualitäten ist dabei ein ebenso häufiges Profil wie das Gegenteil: Enorme Ausstrahlung, ja Charisma, trotz durchschnittlicher oder gar geringer Qualifikation.
Wir alle kennen das aus unserem Umfeld.
Da gibt es Führungskräfte, die ihre formale Macht nicht nur ungeschickt, sondern sogar missbräuchlich einsetzen müssen, weil es ihnen an Überzeugungsfähigkeit und Souveränität fehlt. Und es gibt die Chefs und Chefinnen, die uns immer wieder freundlich und geduldig veranlassen, ihnen einfach zu vertrauen und alle unsere Zweifel oder Widerstände fallen zu lassen. Denen folgen wir, weil wir ihnen nicht widerstehen können.
Natürlich sind das Ausnahmen, in der Summe aber zu viele. Wir brauchen überall Führungspersönlichkeiten, denen wir aufgrund ihrer Kompetenz vertrauen können und die mit uns in all ihrer Macht auf Augenhöhe umgehen. Das ist das Ideal jeder Führungskraft – Männer wie Frauen!
Doch warum sind beim Thema Frauen und Macht immer wieder Kontroversen, Diskussionen und Konflikte im Raum?
Kaum ein Gespräch zu diesem Thema verläuft harmonisch, es sei denn, die Gesprächspartner vertreten ehrlich die gleiche Position. Viel häufiger arten solche Gespräche in Verdächtigungen, gegenseitige Angriffe und Schuldzuweisungen aus.
Ich glaube, das liegt an unserer eingeengten Sicht auf das Problem. Wenn man es nur statistisch sieht, landet man schnell bei der Aussage, dass Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind, je “höher” man in der Hierarchie kommt. Und wenn man es hierarchisch sieht? Dann erscheint selbst “der mächtigste Mann der Welt” nicht ohne weibliche Unterstützung auszukommen und auch die jeweils mächtigste Frau verfügt über ihre Macht nicht allein. Jeder und jede “Mächtigste” bedient sich eines ganzen Apparates von Helfern beiderlei Geschlechts.
Und doch scheint es Gründe zu geben, warum Frauen ihre tatsächliche, angeborene und lebenslang verfügbare persönliche Macht nicht in gleichem Maße für die Erlangung von Führungsaufgaben einsetzen.
Wollen sie nicht, können sie nicht oder lässt man sie nicht?
Wen immer Sie aus welchen Gründen auch immer dafür halten: Namen und Posten spielen hier seit der Antike keine Rolle, die Liste erscheint endlos.
Wenn wir auf diese Frage eine eindeutige Antwort suchen, so müssen wir wohl eingestehen, dass alle drei Faktoren zutreffen. Sie können nicht, sie wollen nicht und man(n) lässt sie nicht. Ja, meine lieben Leserinnen, Sie können es vor sich selbst durchaus eingestehen: Es fehlt auch am Wollen und deshalb am Können. Frauen werden nicht einfach nur behindert. Sie werden Macht-unfähig gemacht.
Denn wer schon als Kind ständig zur Zurückhaltung, Bescheidenheit, Folgsamkeit und “Nettigkeit” aufgefordert wurde, wer dafür Lob und vielleicht sogar Belohnung erhalten hat, der wird dieses Verhaltensprogramm später sehr schwer los.
Das Interesse und die Fähigkeit, im Vordergrund zu stehen und sich mit anderen auseinander zu setzen, kann gar nicht erst entstehen. Im Gegenteil: Widerspruch oder gar Widerstand wird als falsch verurteilt und bewusst vermieden. So beginnt bereits im Kindesalter die Selbstunterdrückung, lange vor jedem Karrierestart. Und das setzt sich fort. Jungs erleben auch Ermahnungen und sogar Bestrafungen, wenn sie nicht folgsam sind, allerdings erwartet man von ihnen deutlich weniger Zurückhaltung, Bescheidenheit und “Nettigkeit”. Im Gegenteil, sie sollen von Kindheit an lernen zu “kämpfen”, sich zu wehren und das tun sie!
So viel zum Wollen.
Was aber ist mit Können?
Mädchen und später Frauen gelten in allen Bildungsformen als wesentlich engagierter als Jungen oder Männer. Sie sind aufmerksamer, fleißiger, disziplinierter und erreichen oft bessere Abschlüsse. Und doch scheinen sie bei der Suche nach geeigneten Kandidatinnen für Führungsaufgaben häufig als weniger kompetent zu gelten. Wieso? Allgemein heißt es, sie würden ihr Licht unter den Scheffel stellen, sich selbst weniger zutrauen. Mag sein, aber das ist sicher nicht der Hauptgrund. Denn auch Männer haben durchaus Selbstzweifel und nicht zu knapp! Allerdings haben sie von der frühen Erziehung eine Aufforderung verinnerlicht: Man(n) darf im Vergleich mit anderen nicht der Schlechteste sein. Während Mädchen in jeder Art von Wettbewerb durchaus versagen dürfen und dafür getröstet werden, fordert man Jungs auf, es endlich besser zu machen. Sie sind also abgehärteter einerseits und resilienter andererseits, wenn es um Niederlagen geht. Und das ist auch ein Lernprozess. Das kämpfen Können kommt mit dem kämpfen Wollen.
Mädchen sind häufig Beobachterinnen bei dieser Kämpferei und sehen deren Folgen. Falls sie spontan mitmischen, erleben sie selbst all die Schmerzen und Verletzungen – und anschließend Kritik oder Häme. Denn für Mädchen schickt sich das nicht! Also trainieren sie ihre Resilienz in weit geringerem Maße. Die vielleicht vorhanden gewesene Bereitschaft, kämpfen zu lernen, lässt deutlich nach oder verschwindet ganz. Frau weiß, dass sie das schlecht oder gar nicht kann. Die Auswahl für eine Führungsaufgabe setzt aber – solange die Gesellschaft im Wettbewerbsmodus funktioniert – Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen voraus!
Also Können: verbesserungswürdig.
Und was “man lässt sie nicht” betrifft?
Nun, wer nicht will, muss nicht.
Und wer nicht kann, ist noch nicht so weit.
Deshalb liebe Leserinnen, lassen sie sich nicht abschrecken oder zurückhalten! In anderen Situationen, wenn es nicht um Karriere geht, führen Sie doch auch! Wir müssen nicht drum herumreden: Frauen wollen führen, Frauen können führen und wenn sie es tun, lässt man sie auch.
Ich begleite Sie gern auf Ihrem Weg an die Macht!