Der Umgang mit Macht - Dr. Karin Rasmussen

Machtmissbrauch – Da raste ich schon mal aus!

Das gehört sich zwar nicht. Aber es gibt Situationen, da reicht meine Geduld nicht mehr für vornehme Gelassenheit. Eine solche Situation hatte ich vor einiger Zeit. Damit Ihr verstehen könnt, was mich so aus der Fassung brachte, hier kurz die Story:

Eine meiner Kundinnen hatte in ihrem Verantwortungsbereich einen Fall von Machtmissbrauch zu verarbeiten und zu verkraften. Sie war selbst nicht als direktes „Opfer“ betroffen. Aber sie war Betroffene, weil sie sich für die Opfer (Mehrzahl!) verantwortlich fühlte. Kurz gesagt ging es um sexuelle Belästigung und mehrfache Übergriffe durch eine männliche Führungskraft. Das ist ja an sich schon ein schwieriges Thema, weil derartige Vorfälle einerseits leider ziemlich häufig sind und andererseits die Meinungen darüber zum Teil stark voneinander abweichen.

Da ich in meiner längjährigen Beratungstätigkeit schon öfter mit diesem Thema konfrontiert war, konnte ich zunächst zwar verärgert, aber gefasst zuhören. Was mich zum Ausrasten brachte (ich konnte einfach erst einmal gar nichts sagen, nur stumm den Kopf schütteln), war Folgendes: Obwohl es mehrere Vorfälle gegeben hatte und mehrere Mitarbeitenden betroffen waren, hatte meine Kundin erst nach diesen Wiederholungen und mit großem zeitlichen Abstand davon erfahren. Und das für mich Empörendste an der ganzen Situation war, dass ihr davon berichtet wurde, als hätten die betroffenen Mitarbeitenden „selbst Schuld“ und müssten dieses Fehlverhalten einer Führungskraft selbst verantworten.

Kennen Sie das?

Wenn wir von etwas erfahren, was eigentlich nicht passieren dürfte, dann denken wir sofort über das WARUM nach. Meist suchen wir auch gleich nach dem Verursacher, also Schuldigen. In diesem Fall war es doch tatsächlich gleich mehrfach Thema, ob die betroffenen Frauen vielleicht die falschen Signale gesendet hätten, sich falsch verhalten hätten, selbst dazu „eingeladen“ hätten, also eigentlich die Verantwortlichen waren!

Das war der Trigger, der mich aus der Fassung brachte!

Wer so denkt, weiß einfach nicht, wovon er oder sie spricht. Es lässt sich ja vielleicht lustvoll darüber spekulieren, solange es nicht um konkrete Vorfälle geht. Das Prinzip der Schuld-Umkehr kann als theoretisches Modell eventuell sogar sinnvolle Erkenntnisse ermöglichen. Als Reaktion auf tatsächlich stattfindenden Machtmissbrauch ist es vollkommen untauglich. Denn egal, welchen Anteil man auf welcher Seite (er-)findet, die Verantwortung liegt IMMER in der Tat! Nicht ohne Grund wird ja vor Gericht normalerweise die Frage geklärt, ob eine beschuldigte Person sich der Verwerflichkeit ihrer Taten bewusst sein konnte.

In diesem Fall war aber nicht die juristische Reaktion für meine Kundin und mich entscheidend. Da ich ja Führungskräfte im Umgang mit ihrer Macht begleite, ging es um die Bewältigung der Folgen dieser Vorfälle. Diese Folgen waren durchaus dramatisch. Um es hier nur anzudeuten:

  • die Autorität der übergriffigen Führungskraft war vollständig für immer verloren
  • die Zusammenarbeit zwischen diesem Chef und seinem Team funktionierte nur noch scheinbar, in Wahrheit verweigerten fast alle  Mitarbeitenden des Teams die Kooperation
  • die Betroffenen und das ganze Team wiesen einen massiven Leistungsabfall auf
  • der Krankenstand schnellte in die Höhe (ohne Grippewelle oder Corona u. ä.)
  • weitere Führungskräfte wurden verdächtigt
  • das Arbeitsklima verschlechterte sich spürbar
  • es entstand eine „Mauer des Schweigens“
  • andere Teams wurden misstrauisch, die Klimastörung zog Kreise
  • die Führungsetage spürte Probleme, konnte sie aber nicht identifizieren
  • die Suche nach Ursachen wurde zur Suche nach „Störenfrieden“
  • statt Übergriffen wurde den betroffenen Mitarbeitenden bewusste Leistungsverweigerung unterstellt (diese Aufzählung ist unvollständig, Sie können sie selbst ergänzen!)

Als durch Flurfunk und Gerüchteküche der tatsächliche Vorgang ruchbar wurde, kam es zu einer ganzen Reihe peinlicher und besonders belastender Gespräche. Diese dienten scheinbar der Aufklärung. Genau genommen schlüpften gleich mehrere Führungskräfte in die Rolle des Ermittlers, sie wollten die Wahrheit aufdecken.

Wenn Sie jetzt ebenso denken, ist das verständlich. Man will einfach wissen, ob es stimmt, ob „was dran ist“, ob es wirklich „der“ war und so weiter. Denn natürlich möchte man keinen  Unschuldigen verdächtigen und andererseits könnte man durch Nichtstun jetzt schnell zum Mitwisser und in der Folge zum Mittäter werden. Man würde in diesem Fall ja die unhaltbaren Zustände einfach hinnehmen beziehungsweise akzeptieren. Also: was stimmt? Man wünscht sich jetzt eine schnelle und am besten auch eine einfache Erklärung.

Dabei wird leider übersehen, dass Führungskräfte einerseits keine Ermittler sind, denn ihnen fehlt das dafür notwendige Spezialwissen. Es besteht die Gefahr, auf unbeweisbare Behauptungen herein zu fallen oder richtige und wichtige Informationen falsch zu deuten. Andererseits können juristische und disziplinarische Reaktionen zwar eventuell angemessen sein, allerdings setzen sie eben den Tatsachen-Nachweis voraus. Ein Dilemma, aus dem interne Gespräche nicht herausführen KÖNNEN. Sie führen leider allzu häufig nur zu oberflächlichen Erklärungen nach dem Muster: Einer oder beide haben eben einen richtig schlechten Charakter, denn sonst wäre das nicht passiert.

Sie fragen Sich jetzt, warum solche Gespräche nichts bringen?

Hierbei kommen die „Opfer“ zum wiederholten Mal in schwer verkraftbare Situationen. Sie sollen mit wenig vertrauten Personen über demütigende Vorgänge sprechen, die sie am liebsten vergessen würden. Sie werden mit der oben erwähnten Schuld-Umkehr konfrontiert, wenn sie die Umstände beschreiben sollen. Denn sie waren „beteiligt“- einfach durch Anwesenheit. Sie machen sich möglicherweise Selbstvorwürfe, weil sie es nicht verhindern konnten. Sie fühlen sich vorgeführt und bloßgestellt. Das heißt, sie erleben einen schwerwiegenden Selbstwertverlust durch Schuld- und Schamgefühle. Das entspricht einer Re-Traumatisierung, die oft zu anhaltendem Schweigen oder in die Flucht (freiwillige Kündigung) und schlimmstenfalls zu psychischen Störungen mit andauerndem Leistungsausfall führen kann. Von den eigentlichen Arbeits-Aufgaben lenkt es in jedem Fall gründlich ab.

Außerdem ist nach solcher Art interner Gespräche eine administrative Reaktion zwingend erforderlich – und das bedeutet in aller Regel disziplinarische Maßnahmen. In diesem konkreten Fall entschied man sich zur Kündigung. Damit trat für das Unternehmen allerdings ein weiterer Schaden ein: Ein Nachfolger musste gefunden werden, für den der Einstieg mit zusätzlichen Belastungen verbunden war. Die Belegschaft und die Führungsetage hatten langwierig mit gegenseitigem Vertrauensverlust zu kämpfen. (Diese Folgen treten übrigens nicht nur bei sexuellen Übergriffen ein, sondern bei jeder Variante des Machtmissbrauchs – von der Einbeziehung der Mitarbeitenden in Schummeleien über direkten Betrug und Mobbing durch Chefs bis hin zu bewussten Verletzungen des Arbeitsrechts.)

Was konnte ich nun meiner Kundin anbieten? Rückgängig machen lassen sich derartige Vorgänge nie.  Um die juristische Reaktion kümmerten sich bereits die Experten aus der Rechtsabteilung. Aber meine Kundin hatte mir ja von diesen Vorfällen berichtet, weil sie sich von mir Unterstützung wünschte. Also musste ich meine Empörung überwinden, mich wieder einkriegen und über mögliche Lösungen nachdenken. Für mich ging es um die Unternehmenskultur und es gab zwei Ansatzpunkte:

  1. Wie kann der tiefgehende Vertrauensverlust zwischen Führungsetage, einzelnen Führungskräften und Mitarbeitenden möglichst nachhaltig überwunden werden?
  2.  Wie können die unmittelbar Betroffenen dabei unterstützt werden, ihr Selbstvertrauen wieder aufzubauen und sich souverän gegen die Schuldumkehr-Verdächtigungen zur Wehr zu setzen?

Fest stand und steht, dass der ethische Umgang mit Führungsmacht nicht nur eine Frage des individuellen Charakters ist, sondern viel mehr der Kern einer Unternehmenskultur sein muss. Und das ist eine Aufgabe, die nur zusammen gemeistert werden kann.  Wer also meint, jede Führungskraft wäre allein für sich selbst verantwortlich, der übersieht diese gemeinsame Verantwortung und kann demzufolge immer nur „hinterher“ auf  Fälle von Machtmissbrauch reagieren.

Kein Wunder also, dass MACHT immer wieder ein „Geschmäckle“ bekommt. Mein Appell: Seien Sie sich der Macht bewusst, die Sie haben, denn die ist auch für andere größer und wichtiger, als Sie denken! Gestalten, Mitwirken, Folgen oder Widersetzen? Es kommt darauf an, was Sie wollen!

Denn es geht IMMER um die Macht! Wenn Sie Sich dabei Unterstützung von mir wünschen, sollten Sie am besten mich kontaktieren.

Übrigens: kostenfrei und sofort zum Download für Sie: Meine PDF-Denkliste „Prima Chef-Beziehungen“

(Anmerkung zum Bild: Die Skulptur „Present Continuous“ ist von Henk Visch, sie steht vor der Pinakothek in München. Foto: von mir)

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